Der verwundete Heiler

11. Juni 2023 von Hans-Lothar Michels

 

Die folgende Geschichte handelt  von Parzival und Gawan, den wichtigsten Personen bei der Suche nach dem Gral, eine Geschichte, die uns Wolfram von Eschenbach überliefert hat.

Eines Tages im Mai – um das Pfingstfest herum – gelangt Parzival bei seiner Suche wieder einmal in die Nähe des Artushofes. In der Nacht hat sich – unüblich für die Jahreszeit – ein Frosteinbruch mit Schnee ereignet.

Als Parzival sich dem Lager des Königs Artus nähert, schießt plötzlich ein Jagdfalke aus dem Gebüsch und greift eine hier ebenfalls rastende Gans an. Der Gans gelingt es zwar unter einen Baumstamm zu entkommen, aber sie wird dabei von dem Falken am Hals verletzt und hinterlässt drei rote Blutstropfen im Schnee.

Parzival sieht die roten Tropfen im weißen Schnee, und sie erinnern ihn an die Röte der Wangen seiner über alles geliebten Ehefrau Kondwiramurs. Parzival starrt in Trance auf die roten Tropfen im Schnee; er erinnert sich an das Bild seiner geliebten Frau, das er in seiner Seele trägt. Sein Bewußtsein befindet sich nicht mehr in dieser Welt.

Ein Knappe entdeckt den Ritter vor dem Lager und meldet ihn dem König Artus.

Für die Artusritter – gefesselt an die weltlichen Regeln der Ritterlichkeit – bedeutet es Schmach, wenn ein Fremder mit kampfbereit erhobenem Speer, ohne um Erlaubnis zu bitten, in ihren Bezirk eindringt.

Das muss bestraft werden und so reitet einer der Ritter bewaffnet zu Parzival um ihn herauszufordern. Parzival reagiert nicht auf die Ansprache, aber als der Artusritter mit dem stumpfen Ende des Speers nach ihm schlägt, scheut sein Pferd. Für einen kleinen Moment verschwinden die roten Tropfen im weißen Schnee aus seinem Gesichtsfeld. Parzival erwacht ein wenig aus seiner Trance, er kann im Halbbewußtsein den angreifenden Ritter abwehren und wirft ihn durch einen Speerstoß aus dem Sattel. Sein Pferd dreht sich wieder so, dass die roten Blutstropfen im weißen Schnee wieder von Parzival erblickt werden, und dieser versinkt erneut in der liebevollen Vorstellung seiner Kondviramurs.

Der zweite Ritter, der zynische und großmäulige Keye pöbelt gegen Parzival, der wiederum nicht reagiert. Auch bei Keyes Angriff reagiert Parzival erst dann, als sein Pferd scheut und die roten Blutstropfen für einen Moment aus seinem Gesichtsfeld verschwinden. Er handelt wie in einem Traum, aber es gelingt ihm, Keye aus dem Sattel zu werfen. Keye  bricht sich einen Arm und ein Bein. Parzival aber ist sofort wieder in den Anblick der roten Tropfen im Schnee versunken  Er fällt in eine tiefe Minne-Trance.

Gawan, der diese Szenen beobachtet hat, reitet jetzt aus dem Lager, aber unbewaffnet und direkt zu dem verzauberten Ritter. Er grüßt ihn höflich, aber Parzival – noch immer in Trance – erwidert nicht einmal seinen Gruß.

Gawan denkt:

„Ob etwa Minne diesen Mann
Bezwingt, wie sie mich auch bezwang,
Indem sie sieghaft ihn umschlang
Und das Bewußtsein ihm entrückte?“

Gawan legt seinen Mantel mit einem gelben Innenfutter auf die Blutstropfen. Augenblicklich erwacht Parzival und klagt, dass ihm seine Geliebte entrissen wurde. Gawan redet vorsichtig und sanft mit Parzival und führt ihn zurück in die Realität des Artushofes.

Gawan kann deshalb heilend auf Parzival einwirken, weil er schon einmal etwas erlebt hat, das Parzivals Erlebnis ähnlich ist. Gawan kennt die Kraft der Minne und hat selbst erfahren, wie sie die Liebenden in ihren Bann schlägt.

Die Ähnlichkeit lässt ihn den Parzival verstehen. Weil er Ähnliches erlebt hat kann er in Resonanz treten mit dem Leid des Parzival. Hier haben wir es mit einer homöopathischen Begegnung zu tun, und nur wer den Mut hat, sich als ebenso verletzlicher Mensch in eine solche Begegnung zu begeben, kann heilend oder auch helfend oder konfliktlösend wirken. Gawan ist ein verwundeter Heiler.

C.G. Jung schrieb: "Nur wo der Arzt selbst getroffen ist, wirkt er. Nur der Verwundete heilt. Wo aber der Arzt einen Persona-Panzer hat, wirkt er nicht.“

Jung versteht unter Persona-Panzer ein Auftreten, das wir so gestalten, wie wir von den Anderen gesehen werden wollen. Es ist kein authentisches Auftreten, das uns so zeigt wie wir wirklich sind, sondern wir verbergen unser Inneres hinter einer Panzer-Maske. Der großmäulige Raufbold Keye tritt so auf, nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ – und wird vom Leben so schwer verletzt, dass er seinen Panzer verliert, weggetragen werden muss und elendiglich jammernd im Lager liegt.

Ich würde gerne die Sätze Jungs über die  Arzt-Patienten-Beziehung hinaus erweitern. Im Grunde gelten seine Ausführungen für alle Beziehungen zwischen uns Menschen. Wir sind alle verletzt und insbesondere in den letzten drei Jahren wurden wir verletzt. Wir können uns nur ehrlich und liebevoll begegnen, wenn wir nicht schauspielern, sondern auch unsere Verletzungen zeigen und dabei gleichzeitig akzeptieren, dass es unseren Mitmenschen ebenso geht. Das ist die Voraussetzung dafür, uns auf Augenhöhe zu begegnen.

Eine nicht heilsame Arzt-Patienten-Beziehung gestaltet sich so, dass der Patient in die Rolle eines hilflosen Opfers, der Arzt in die Rolle des allwissenden, allmächtigen Fachmanns schlüpfen. Der Patient hat die Anordnungen des Arztes zu befolgen, denn der weiß ja Bescheid. In diesem äußerst pathologischen Beziehungsgeflecht gibt der Patient jede Verantwortung an den Arzt ab. Der Arzt übt Macht aus, denn er allein weiß, was für den Patienten gut ist.

Jeder Mensch hat einen inneren Heiler, das Immunsystem ist ein Teil des inneren Heilers. Der Mensch, der seine Verantwortung für sich selbst an eine höhere ärztliche Instanz abgegeben hat, vertraut nicht mehr seinem Inneren Heiler. Die Folgen sind dann Eingriffe, die besser unterlassen worden wären, wie zum Beispiel Impfungen und Gentherapien gegen Krankheiten, wobei sich dann am Ende herausstellt, dass der Eingriff gefährlicher, verletzender, ja tödlicher ist als die Krankheit gegen die er gerichtet war.

Der Panzer des Arztes verhindert, dass dieser sein Tun reflektiert: ich will nicht böswillig sein und das was in den letzten Jahren geschehen ist und noch geschieht, einseitig mit Gewinnsucht und Profitstreben erklären. Aber es bleibt die Frage, warum Schwangere und Kinder der Wirkung unerprobten Substanzen ausgesetzt werden. Man nennt es auch Impfung, in Wirklichkeit handelt es sich aber um Gentherapien.

Auf diese Weise werden Menschen zu Objekten erniedrigt. Die andere Seite, die Ärzte und sogenannten Experten denken nicht mehr selbst, sondern plappern nach, was interessierte Gruppen (z. B. Pharmaindustrie) ihnen einflüstern. Oder sie erstarren in einer hybriden Geisteshaltung, werden wie die beiden Artusritter die verletzen aber auch selbst verletzt werden.

Die Haltung, die ich versucht habe darzustellen, hat sich entwickelt, als der Materialismus als neue Religion in die moderne Medizin Einzug gehalten hat. Es gibt wirksame Heilsysteme, in der die körperliche und seelisch Prüfung des Heilers Teil seiner Berufung war (Schamanismus)

Im alten Griechenland erzählte man sich die Mythen von Chiron und Asklepios als Beispiel empathischen Heilens aber auch als Warnung vor der Hybris der Heiler.

Alle Menschen – insbesondere die, die heilend tätig sind – sollten sich nicht gegenüber ihren eigenen Wunden verschließen. Nur wenn wir unsere eigenen Verletzungen nicht abwehren, können wir mit anderen Menschen in Resonanz treten und ihnen mitfühlend und empathisch begegnen. Dann entstehen zwischenmenschliche Beziehungen die sich als Begegnung zweier Subjekte ausdrücken, statt der in der heutigen Medizin üblichen Subjekt(Arzt)- / Objekt(Patient)-Beziehung.

Zwei Subjekte, die sich auf Augenhöhe begegnen und darüber beraten, was in der gegebenen Situation gut und richtig ist ... Das muß das Ziel einer jeden Begegnung sein.