Wer Frieden will, der liefert keine Waffen
27. Oktober 2022 veröffentlicht von Hans-Lothar Michels
Der Deserteur
von BORIS VIAN
Ihr sogenannten Herrn,
ich schreibe Euch ein Schreiben,
lest oder laßt es bleiben
und habt mich alle gern.
Ich kriege da, gebt acht,
die Militärpapiere,
damit ich einmarschiere
und zwar vor Mittwoch Nacht.
Ich sag' Euch ohne Trug:
Ihr wollt doch nur schmarotzen,
ich finde das zum Kotzen,
die Welt hat jetzt genug.
Ihr sogenannten Herrn,
ich sage Euch ganz offen,
die Wahl ist schon getroffen:
Ich werde desertier'n.
Seit ich auf Erden bin,
sah ich manch Vater sterben,
sah Brüder schnell verderben,
sah weinen oft ein Kind;
sah Mütter voller Gram,
sie konnten nicht vergessen,
daß andre vollgefressen,
wohlauf und ohne Scham.
Sah der Gefang'nen Leid;
Man hat sie nur belogen,
um ihre Frau'n betrogen,
um ihre gute Zeit.
Früh, wenn die Hähne krähn,
dann schließ' ich meine Türe,
will tote Jahre spüren
und auf die Straße gehn.
Dann geht es drauf und dran
auf Welle, Wind und Wegen
der neuen Welt entgegen,
ich rufe jedermann:
Lebt euer Leben aus,
ringt Furcht und Elend nieder,
schießt nicht auf eure Brüder
in diesem Erdenhaus.
Ihr sogenannten Herrn,
müßt ihr denn Blut vergießen,
so laßt das eure fließen,
wir hätten das so gern.
Sagt eurer Polizei,
sie werden mich schon schaffen,
denn ich bin ohne Waffen,
zu schießen steht ihr frei.
Quelle:
Hier kann man sich das Lied auch anhören.
Boris Vian (1920-1959)
war ein französischer Schriftsteller, Jazztrompeter, Chansonnier, Schauspieler und Übersetzer.
Im Februar 1954 schrieb er mit "Le déserteur" ein vielbeachtetes Chanson gegen den Krieg.